Allg. Bez. für denjenigen Zustand eines Körpers od. Syst. bei dem sich Wirkung u. Gegenwirkung aufheben; entspr. spricht man bei Störungen dieses Zustands von Nicht- od. Ungleichgewicht.
Spezialfälle sind
- die chemischen Gleichgewichte
- stationäre Zustände
- die Gleichgewichte thermodynamischer Systeme
- das Säure-Basen-Gleichgewicht im Organismus usw.
Unter bestimmten Bedingungen können sich auch Pseudo-Gleichgewichte einstellen, die man als metastabile Zustände bezeichnet. In der Mechanik unterscheidet man zwischen stabilem, labilem u. indifferentem Gleichgewicht.
Le Châtelier
Henry Louis (1850–1936), Prof. für Chemie, Paris. Arbeitsgebiete: Spezif. Wärme von Gasen, Silicat-Chemie, Metallographie, Entwicklung eines Thermoelements (L.C.-Pyrometer), chem. Gleichgew., Formulierung des später nach ihm benannten Prinzips des kleinsten Zwangs.
Prinzip des kleinsten Zwanges
(Le Châtelier-Braunsches Prinzip). Bez. für ein von H. L. Le Châtelier u. K. F. Braun formuliertes Prinzip, das die Abhängigkeit des chemischen Gleichgewichtes von äußeren Bedingungen qual. beschreibt. Das Gleichgew. verschiebt sich demnach stets so, daß es dem äußeren Zwang ausweicht. Das bedeutet z.B., daß im Falle einer mit Vol.-Änderung verbundenen Reaktion Druckerhöhung zu einer Verringerung des Umsatzes führen muß. Entsprechend wird umgekehrt bei einer mit Vol.-Verkleinerung verbundenen Reaktion durch Druckerhöhung der Umsatz erhöht: unter hohem Druck wird das Gleichgew. in einer Richtung verschoben. Das Prinzip besagt auch, daß bei exothermen Reaktionen zusätzliche Wärmezufuhr das Gleichgew. in Richtung auf die Ausgangsstoffe, bei endothermen Reaktionen in Richtung auf die Prod. verschiebt. Das Le Châtelier-Braunsche Prinzip wurde 1887, also 20 Jahre nach dem Massenwirkungsgesetz formuliert.
Massenwirkungsgesetz
(Abk.: MWG). Gesetz, das die Bedingungen für die Einstellung von Chemischen Gleichgewichten erfaßt. Dieses 1867 von Guldberg u. Waage erstmals formulierte Gesetz lautet:
Bei einem chem. Gleichgew.-Zustand in homogenen, d.h. einphasigen Syst. ist der Quotient aus dem Prod. der Konz. der Reaktionsprod. u. dem Prod. der Konz. der Ausgangsstoffe (Reaktanden) bei einer bestimmten Temp. konstant.
Eine umkehrbare chem. Reaktion kommt bei einer bestimmten Temp. dann (äußerlich) zum Stillstand (stationärer Zustand, Gleichgew.-Zustand, dynam. Gleichgew.), wenn der Quotient aus dem Prod. der Konz. der Reaktionsprodukte u. dem Prod. der Konz. der Ausgangsstoffe einen bestimmten, für die Reaktion charakterist Zahlenwert K (als Gleichgewichtskonstante, seltener als Massenwirkungskonstante bez.) erreicht hat.
Im Gleichgew.-Zustand sind die Geschw. von Bldg. u. Zerfall des Prod. (d.h. der Hin- u. Rückreaktion) einander gleich. Dieser Zustand ist unabhängig von den eingesetzten Stoffmengen; er wird nur durch Druck u. Temp. beeinflußt.
Allg. kann man nach dem MWG chem. Reaktionen entweder durch Konz.-Steigerung der miteinander reagierenden Stoffe od. durch Konz.-Verminderung der Reaktionsprod. in die gewünschte Richtung lenken. Geschichtl.: Der Grundgedanke des MWG wurde bereits von Berthollet (1799) richtig aufgefaßt u. 1803 in dem Buch „Essay de statique chimique“ veröffentlicht.
Reaktionsenthalpie
Änderung der Enthalpie bei einer chem. Reaktion. Standard-R. lassen sich aus den Standardbildungsenthalpien berechnen; Näheres s. Bildungswärme.
Bildungswärme
Bez. für diejenige Wärmemenge, die beim Aufbau einer Verb. aus den Elementen frei wird (exotherme Reaktion) od. verbraucht wird (endotherme Reaktion); definitionsgemäß wird die von einem Syst. abgegebene Wärmemenge mit Minuszeichen versehen. Tabelliert werden üblicherweise die Standardbildungsenthalpien bei 25°C (298,15 K) u. Standarddruck 1 bar (in älteren Arbeiten 1 atm). Sie entsprechen den Standardreaktionsenthalpien der Bildungsreaktion, d.h. der Reaktion für die Bildung der gewünschten Verb. aus den Elementen in ihren Referenzphasen. Die Referenzphase eines Elements ist die thermodynamisch stabilste Phase bei Standarddruck (mit einer Ausnahme: beim Phosphor wird weißer Phosphor als Referenzphase genommen). Per definitionem sind die Standardbildungsenthalpien der Elemente in ihren Referenzphasen gleich Null für alle Temperaturen.
Aus den Standardbildungsenthalpien kann man über den Heßschen Satz die Standardreaktionsenthalpien beliebiger Reaktionen berechnen.
Chem. Reaktionen in homogener Phase laufen nie vollständig, sondern nur bis zum Erreichen eines Gleichgewichtszustandes ab, in dem neben den Reaktionsprod. auch die Reaktanden noch z.T. vorhanden sind. Der gleiche Endzustand wird erreicht, wenn man vom Reaktionsprod. ausgeht u. dieses den Bedingungen der Bildungs-Reaktion unterwirft. Ein Beisp. für c. G. u. umkehrbare (reversible) Reaktionen bildet die von Bodenstein (1897) untersuchte Reaktion zwischen Iod-Dampf, Wasserstoff u. Iodwasserstoff. Da die Reaktion umkehrbar ist u. nach beiden Richtungen verlaufen kann, setzt man hier besser kein Gleichheitszeichen od. einen einfachen Pfeil, sondern zwei entgegengesetzte Pfeile (Gleichgewichtspfeile) zwischen die Reaktionsseiten (H2+I2 ó 2HI).
In einem abgeschlossenen System stellt sich stets ein Gleichgew. ein. Es ist dies ein dynamisches Gleichgewicht, bei dem Hinreaktion u. Rückreaktion mit derselben Geschindigkeit ablaufen. Im c. G. entstehen also pro Zeiteinheit ebensoviele Produktmoleküle, wie solche in Reaktandenmoleküle zerfallen. Die Geschwindigkeit der Gesamtreaktion ist daher im c. G. gleich Null. Momentanen Störungen gibt das c. G. mit einer gewissen Verzögerung nach, die man Relaxation nennt. Die thermodynamische Beschreibung des c. G. bei konstantem Druck u. konstanter Temp. erfolgt unter Verwendung der Freien Reaktionsenthalpie. Die Änderung der Freien Reaktionsenthalpie bei einem Mol Umsatz ist gleich Null, wenn die Reaktion bei der Gleichgewichtszusammensetzung der Reaktionsmischung abläuft.
Die thermodynamische Gleichgewichtskonstante K hängt von der Temp. ab. Durch Änderung des Drucks läßt sich zwar nicht K verändern, aber die Gleichgewichtsaktivitäten der Reaktionsteilnehmer können sich unter Konstanthaltung von K ändern. Z.B. führt eine Druckerhöhung bei einer Gasreaktion zu einer Abnahme/ Zunahme der Menge an Produkten/ Edukten. Hierbei handelt es sich um einen Spezialfall des Prinzips des kleinsten Zwanges von Le Châtelier, nach dem ein sich im c. G. befindliches System auf eine Störung derart reagiert, daß die Wirkung der Störung möglichst gering gehalten wird. D: h. , daß das System versucht, die Druckerhöhung zu kompensieren, indem es die Anzahl der Mol. in der Gasphase verringert. C.G. spielen in allen Bereichen der Chemie eine wesentliche Rolle:
bei der therm. od. der elektrolytischen Dissoziation,
in der Gravimetrie (Löslichkeitsprodukt),
in der Komplexchemie,
bei Polymerisationen etc.
Kinetik
Von griech.: kinesis = Bewegung abgeleitete Bez., unter der man in der Mechanik die Lehre von den durch innere od. äußere Kräfte ausgelösten Bewegungen versteht (Gegensatz: Statik). Dagegen versteht man in der Chemie unter K. die Lehre von den Geschw. chem. Reaktionen. Die K. steht damit als Arbeitsgebiet gleichberechtigt neben der chem. Thermodynamik, die sich mit der Beschreibung chem. Zustände beschäftigt. Während sich die kinet. Gastheorie mit der Erklärung des in den Gasgesetzen zum Ausdruck gebrachten Verhalten der Gase befaßt, umfaßt die sog. chem. K. (Reaktions-K.) die Unters. der Einflüsse von äußeren Faktoren (Druck, Temp., Strahlung, Katalysatoren) auf den zeitlichen Ablauf der chem. Reaktionen. Sie trägt einerseits zur Klärung der Reaktionsmechanismen u. zur Vertiefung der Kenntnisse über mol. Wechselwirkungen bei, andererseits ermöglicht sie die Best. der Bedingungen für die techn. Anw. einer Reaktion. Die chem. Affinität ist zwar Voraussetzung für den Eintritt einer chem. Reaktion, doch ist sie nicht maßgebend für die Geschw. der Umsetzung. Die folgenden, notwendigerweise unvollständigen Ausführungen beschäftigen sich im wesentlichen mit der Reaktionskinetik in homogenen Systemen. In heterogenen (mehrphasigen) Syst. müssen außerdem die Einflüsse der Diffusion, Lösung, Kondensation, Adsorption etc. berücksichtigt werden.
Während die Stöchiometrie einer Reaktion eine Aussage über die Mengenverhältnisse der an ihr beteiligten Stoffe u. die Ableitung von Gl. für die sog. Bruttoreaktion erlaubt u. das Massenwirkungsgesetz die Lage der chemischen Gleichgewichte mit Hilfe der Gleichgewichtskonstanten (K) zu berechnen gestattet, soll der Reaktionsmechanismus beschreiben, wie es im einzelnen zur Bldg. bzw. Nicht-Bldg. des od. der Prod. kommt. Dabei muß man zunächst festzustellen versuchen, ob die betrachtete Reaktion eine einfache od. zusammengesetzte Reaktion (Stufenreaktion) ist u., falls letzteres zutrifft, ob die betrachteten Elementarreaktionen als Simultan- od. Sukzessivreaktionen ablaufen. Nach der Anzahl der an der Elementarreaktion beteiligten Teilchen (Ionen, Radikale, Atome od. Mol.) unterscheidet man mono- od. unimol., bimol. (häufigster Fall), ter- od. trimol. (selten) u. höhermol. (prakt. unwahrscheinlich) Reaktionen. Man nennt die Anzahl (1, 2, 3...) der Mol., die an der Elementarreaktion beteiligt sind, die Molekularität der Reaktion .
Von der so definierten Reaktionsmolekularität ist die kinet. Reaktionsordnung zu unterscheiden, die sich aus dem Zeitgesetz der Reaktion (Geschw.-Gleichung) ergibt. Die Reaktionsordnung ist die Summe der Potenzen, mit der die Konz. der Ausgangsstoffe in die Differentialgleichung eingehen, die den Verlauf des Umsatzes in Abhängigkeit von der Zeit beschreibt u. in der die sog. Reaktionsgeschw.-Konstante (k) als Proportionalitätsfaktor auftritt;
Beisp.: In der Gleichung („Zeitgesetz“) v=k [A]a[B]b mit v=Reaktionsgeschwindigkeit u. [A], [B]=Konz. von A bzw. B stellt a die Reaktionsordnung in bezug auf Stoff A u. b diejenige auf Stoff B dar; die Gesamtreaktionsordnung ist dann =a+b+...
Eine Reaktion ist 1., 2., ... n. Ordnung in bezug auf einen Ausgangsstoff (kinet. Einzelordnung des betreffenden Ausgangsstoffes), wenn ihre Geschw. (d.h. die Abnahme der Konz. dieses Ausgangsstoffes in der Zeiteinheit) proportional der 1., 2., ...n. Potenz seiner Konz. ist. Reaktionen, die von jeglicher Konz. unabhängig ablaufen, gehören der „nullten“ Ordnung an;
Beisp.: Reaktionen an Phasengrenzen, z.B. festen Katalysatoren.
Ob eine bestimmte chem. Reaktion eintritt u. sich bestimmte Prod. bilden, ist im allg. nicht von der Qualität (z.B. Stabilität) der Prod. her determiniert (thermodynam. Kontrolle), sondern von der Höhe der zu überwindenden Energiebarriere u. davon, wie rasch sich die einzelnen Prod. bilden (kinetische Kontrolle). Nur diejenigen Atome u. Mol., die einen bestimmten Mehrbetrag über dem Durchschnittsgehalt an Energie besitzen, können mit anderen Atomen od. Mol. reagieren; dieser Energiemehrbetrag ist die sog. Aktivierungsenergie. Beim Zustandekommen des – auch Begegnungskomplex od. aktivierter Komplex genannten – Übergangszustandes spielt der Wirkungsquerschnitt der beteiligten Partikeln eine ebenso große Rolle wie deren kinetische Energie.
Die Reaktionsgeschwindigkeit läßt sich allg. durch die folgenden Maßnahmen erhöhen:
Durch Temp.-Erhöhung (als „Faustregel“ gilt hier, daß eine Erhöhung der Reaktionstemp. um 10° eine Verdoppelung der Reaktionsgeschw. bewirkt) s. Arrheniussche Gleichung. –
Durch Erhöhung der Konz. der Ausgangsprodukte. –
Durch Erniedrigung der Aktivierungsenergie durch Katalysatoren.
Bes. interessante Formen von Reaktionen mit teils sehr einfacher, teils sehr komplexer K. sind
intramol. verlaufende Reaktionen (Umlagerungen, Isomerisierungen),
enzymat. u. katalyt. ausgelöste Reaktionen
solche mit Inhibitions-Effekten,
sog. Zeit-Reaktionen,
Kettenreaktionen,
Reaktionen unter Bedingungen des stationären Zustands
Um einen Reaktionsmechanismus vollständig beschreiben zu können, müssen die kinet. Konstanten der einzelnen Reaktionsstufen u. Elementarreaktionen experimentell ermittelt werden, zuweilen auch von kurzlebigen Zwischenprodukten. Dabei kann man sich spektroskop. Mittel (Beisp.: NMR-Spektroskopie) bedienen od. Rückschlüsse aus den Daten konkurrierend ablaufender Reaktionen ziehen. Jedoch verlaufen die meisten dieser Prozesse so schnell, daß sie sich nur durch Meßverf. erfassen lassen, die zur Unters. Schneller Reaktionen geeignet sind, insbes. also Relaxations-Meth. Aufschlußreich sind oft kinet. Messungen bei bes. hohen bzw. bes. tiefen Drücken.
Arrhenius
Svante August (1859–1927), Prof. für Physik, Stockholm. Arbeitsgebiete: Theorie der elektrolyt. Dissoziation, Geophysik, Kosmologie, Reaktionskinetik, Aktivitätskoeff.; A. benutzte als erster die Bez. Immunchemie (1907). Er erhielt den Nobelpreis für Chemie 1903 für seine Arbeiten zur elektrolyt. Dissoziation.
Arrheniussche Gleichung
Von Arrhenius 1889 aufgestellte Beziehung zwischen Reaktionsgeschwindigkeitskonstante u. Temperatur bei chem. Reaktionen:
K = A*e -EA/ (R*T)
wobei k die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante, A der präexponentielle Faktor od. Frequenzfaktor, EA die Arrheniussche Aktivierungsenergie, R die Gaskonstante u. T die abs. Temp. sind.
Halbwertszeit
Abk.: HWZ, Symbol: T1/2
Allg. Bez. für die Zeitspanne, in der die Hälfte eines Ausgangsmaterials zerfallen/umgewandelt ist. Der Begriff wird in verschiedenen Fachbereichen verwendet:
In der Reaktionskinetik (s. Kinetik) Bez. für diejenige Zeit, in der eine irreversible Reaktion 1. Ordnung zur Hälfte abläuft.
Bei radioakt. Isotopen ist die (physik.) H. (=Tph) die Zeit, innerhalb derer die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Atome eines Radionuklids sich umwandelt bzw. (bei Isomeren) in den Grundzustand übergeht. Parallel damit sinkt auch die von den radioakt. Atomen herrührende Strahlung auf die Hälfte. Bei den Elementen mit nicht zu langer H. wird diese aus der allmählichen Strahlungsabnahme bestimmt. Nach einem Zeitraum, der etwa der zehnfachen H. entspricht, ist die Anzahl der radioakt. Atome im Radioelement auf rund 0,1% der ursprünglichen Zahl gesunken.
Aus den H. der in extraterrestr. Material nachgewiesenen Elemente lassen sich ggf. Rückschlüsse auf das Alter des Sonnensyst. bzw. der Sterne ziehen. Mit der Lebensdauer (t) der Radionuklide ist die H. T1/2 über die Zerfallskonstante l verknüpft:
l/t=l=ln2/T1/2
Unter der (biol.) H. einer körpereigenen Substanz (z.B. Antikörper od. Enzyme) versteht man die Zeit, innerhalb der 50% davon im Organismus abgebaut, ausgeschieden od. neu gebildet werden. Diese beträgt (mit Radioindikatoren bestimmt) bei den Serum- u. Leber-Proteinen des Menschen 7–10 Tage, beim menschlichen Gesamtkörpereiweiß 80 Tage, bei der Muskulatur 158 Tage.
Unter der (biol.) H. (=T biol ) eines Radionuklids versteht man die Zeit, in der die Hälfte des inkorporierten radioakt. chem. Elements wieder aus dem Körper ausgeschieden wird. Es gibt Strahler mit langer physik., aber kurzer biol. H.; so wird z.B. das Tritium mit einer physik. H. von ca. 12,26 Jahren schon nach 12 Tagen zur Hälfte aus dem Körper ausgeschieden. Aus den H. nach 2. u. 4. resultiert deshalb eine „effektive“ H. (= T eff ) der Form:
Teff= T ph ·T biol /(T ph +T biol )
In übertragenem Sinne spricht man von H. auch bei Pflanzenschutzmitteln (T1/2 des biol. Abbaus) u. beim Abbau von Stoffen in der Umwelt.
Reaktionsgeschwindigkeit
Begriff aus der chem. Kinetik, der von Wilhelmy eingeführt wurde zur Beschreibung der zeitlichen Änderung der Konz. bei chem. Reaktionen. Diese laufen bekanntlich mit unterschiedlicher Geschw. ab, manche, wie Enzym-Reaktionen od. die anorg. Ionenreaktionen u. v.a. die Neutralisationen, so schnell, daß die Best. der R. mit Schwierigkeiten verbunden ist, andere fast unmerklich langsam. In jedem der Fälle (außer dem der Reaktionen nullter Ordnung) läßt sich die R. als Differentialquotient, nämlich als Stoffumsatz in der Zeiteinheit formulieren:
x = ±n B –1·dn B /dt;
mit n/V=c kann man daraus ableiten:
v B = ±n B –1·dc B /dt.
n = Stoffmenge,
c = Konzentration
t = Zeit
n = stöchiometrischer Faktor
V = Vol.
x (od. J) = Reaktionsgeschw.
v B (od. r B ) = Geschw. des Konz.-Anstiegs von Substanz B
Hat sich das chemische Gleichgewicht eingestellt, ist die R. scheinbar = Null. Das Verhältnis k1/k–1 entspricht der Gleichgewichtskonstanten K des Massenwirkungsgesetzes.
Da das Eintreten von chem. Reaktionen mit der Häufigkeit u. der Relativgeschw. der Mol. im Reaktionsgemisch zusammenhängt, ist die R. nicht nur der Konz. der Reaktionspartner proportional, sondern hängt auch vom
Aggregatzustand (Möglichkeit zur Diffusion)
vom Druck
vom Katalysator
bes. aber von der Temp. ab.
Hierfür hat van't Hoff als Gesetzmäßigkeit abgeleitet:
Eine Erhöhung der Reaktions-Temp. um 10° hat eine Verdoppelung bis Verdreifachung der R. zur Folge.
Eine quant. Beziehung zwischen Reaktionsgeschw.-Konst. (k), Aktivierungsenergie (EA) u. Temp. (T) liefert die
Arrheniussche Gleichung d(lnK)/dT=E A RT²
van't Hoff
Jacobus Hendricus (1852–1911), Prof. für Physik. Chemie, Univ. Amsterdam u. Berlin. Arbeitsgebiete: Begründung der Stereochemie (asymmetr. C-Atom), elektrolyt. Dissoziation, chem. Gleichgew. u. Reaktionsgeschw. (van't Hoffsche Gleichung bzw. Regel), Zusammenhänge zwischen osmot. Druck von Lsg. u. dem Gasdruck, MG.-Best. aus Gefrierpunktserniedrigung, Sdp.-Erhöhung u. osmot. Druck, Unters. der Staßfurter Doppelsalze. Für die Entdeckung der Gesetze der chem. Dynamik u. des osmot. Drucks in Lsg. erhielt van't Hoff 1901 den Nobelpreis für Chemie (als erster Träger des neugegr. Nobelpreises).
Van't-Hoff-Gleichung
(Van't-Hoff-Isochore)
Bez. für die von van't Hoff 1885 abgeleitete Gleichung, die die Abhängigkeit einer Gleichgewichtskonstante Kp von der Temperatur T beschreibt:
d(lnKp)/dT = DH/RT²
R = Gaskonstante
DH = Reaktionsenthalpie
Qualitativ läßt sich aus der V.-H.-G. herauslesen, daß sich das Gleichgew. bei einer endothermen (exothermen) Reaktion mit zunehmender Temp. zugunsten der Produkte (Edukte) verschiebt. Zum gleichen Ergebnis kommt auf empir. Wege das Prinzip des kleinsten Zwanges. Aus der V.-H.-G. folgte die Arrheniussche Gleichung (1889).
Van't-Hoff-Regel
(Reaktionsgeschwindigkeit-Temperatur- = RGT-Regel)
Diese von van't Hoff aufgestellte Regel besagt, daß sich die Reaktionsgeschwindigkeit (RG) so mit der Temp. (T) ändert, daß ein Temperaturzuwachs um etwa 10° ungefähr eine Verdoppelung bis Vervierfachung der Reaktionsgeschw. bewirkt. Wählt man den mittleren Faktor 3, so bewirkt eine Temperatursteigerung um nur 100° schon eine Erhöhung der RG um das 310fache (rund 60000). Die Beschleunigung der Reaktion beim Erwärmen erklärt sich folgendermaßen:
bedeutet höhere Temp. schnelle Molekülbewegung u. damit eine Vermehrung der zu chem. Reaktionen führenden Stoßprozesse
ist die kinet. Energie beim Stoß größer, wodurch eher Reaktionsbarrieren überwunden werden können.
Quant. hat die Zusammenhänge Arrhenius 1889 formuliert:
d(Ink)/ dT = E A / ( R*T²)
(Arrheniussche Gleichung) bzw.
k = A*e -EA/ (R*T)
k = RG-Konstante
A = Häufigkeitsfaktor zur Reaktion führender Zusammenstöße
E A = Aktivierungsenergie
Die RGT-Regel gilt innerhalb mittlerer Temperaturbereiche für viele anorg. u. org. Reaktionen, so z.B. für Enzymreaktionen, die Kohlendioxid-Assimilation u. selbst für den Wärmehaushalt wechselwarmer Lebewesen.
Aktivierungsenergie
Nach der Interpretation von Tolman ist die A. gleich der Differenz der mittleren Energie der reagierenden Moleküle u. der mittleren Energie aller (auch der nichtreaktiven) Moleküle. Vorausgesetzt wird hierbei eine Boltzmann-Verteilung für die Reaktandenmoleküle; nur Moleküle mit einer Energie, die mindestens so groß ist wie die A., können reaktive Stöße durchführen. Experimentell bestimmt wird meistens die Arrheniussche A., indem man die Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeitskonstante mißt. Ursache für das Vorliegen einer positiven A. ist meistens eine Energiebarriere auf der der Reaktion zugeordneten Potentialhyperfläche.
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